Corona – Behandlungsfehler? „Es wird zu häufig intubiert und invasiv beatmet“

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„Es wird zu häufig intubiert und invasiv beatmet“

Der Lungenfacharzt Thomas Voshaar über die Überlebenschancen von schwer erkrankten Covid-19-Patienten
Medizinisch häufig nicht gerechtfertigt: Künstliche Beatmung bringt viele Komplikationen mit sich und sollte deshalb nur im Ausnahmefall erfolgen.
Medizinisch häufig nicht gerechtfertigt: Künstliche Beatmung bringt viele Komplikationen mit sich und sollte deshalb nur im Ausnahmefall erfolgen. EPA

Herr Voshaar, die Debatte über das Coronavirus beherrschen Virologen. Covid-19 geht aber häufig einher mit einer schweren beidseitigen viralen Lungenentzündung. Welche Kompetenz bringen die Lungenfachärzte in dieser Krise ein?Natürlich ist das Engagement von Virologen und Epidemiologen notwendig und gut. Wenn wir bald wüssten, wie viele Mutationen es vom Virus Sars-CoV-2 gibt, wäre das eine große Hilfe. Aber die eigentliche Erkrankung und ihre Behandlung ist die Domäne der Lungenärzte, nicht der Anästhesisten und Intensivmediziner. Pneumologen beschäftigen sich jeden Tag mit viralen und bakteriellen Lungenentzündungen. Es gibt kein Medikament gegen Covid-19, deshalb kommt es auf die klinische Erfahrung der Pneumologen an. Das ist von Öffentlichkeit und Politik noch unzureichend registriert worden.

Sie haben als Vorsitzender des Verbands der pneumologischen Kliniken und als Chefarzt einer Lungenklinik vor der leichtfertigen invasiven Beatmung von Covid-19-Patienten gewarnt. Warum?Die Beatmung der Covid-19-Patienten, das frühe, vorschnelle Intubieren also, ist häufig medizinisch nicht gerechtfertigt. Vor der Corona-Krise gab es darüber unter den Kollegen keine Kontroverse. Jetzt führte die Ausbreitung der Pandemie in China sowie in Italien und Frankreich zu chaotischen Zuständen in den Kliniken. Die medizinischen Ressourcen waren begrenzt, und die Zahl der Covid-19-Patienten, die schnell versorgt werden mussten, war sehr groß. Chaotische Situationen sind in der Medizin immer schlecht. Für die längere Beobachtung eines Patienten und die Diskussion der Therapie ist im Chaos keine Zeit, deshalb ist häufig vorschnell intubiert, also invasiv beatmet worden. Wir Pneumologen hoffen, dass die Situation in Deutschland in den kommenden drei bis vier Wochen eine andere sein wird: Wir haben uns gut vorbereitet, wir wollen die Patienten geordnet aufnehmen und dann überlegt die Therapie einleiten.

Was heißt das für die Entscheidung, ob jemand beatmet wird oder nicht?Für Patienten ist eine invasive Beatmung grundsätzlich schlecht. Selbst wenn das Beatmungsgerät optimal eingestellt und die Pflege perfekt ist, bringt die Behandlung viele Komplikationen mit sich. Die Lunge reagiert auf zwei Dinge empfindlich: Überdruck und eine zu hohe Sauerstoffkonzentration in der zugeführten Luft. Außerdem müssen Sie den Patienten bei einer Beatmung sedieren – Sie nehmen ihn aus der Welt. Er kann nicht mehr essen, trinken und selbständig atmen. Ich übernehme also die Totalkontrolle über den Organismus. Nur mit Überdruck kann ich Luft in die Lunge bekommen. Bei der Spontanatmung passiert das Gegenteil, die Luft gelangt durch Unterdruck in die Lunge. Das terminale Versagen der Lunge entsteht häufig durch zu hohen Druck und zu viel Sauerstoff. Es ist also immer besser, selbst zu atmen, deshalb schauen wir so kritisch auf die Beatmung.

Was heißt das für die klinische Therapie?Von den beatmeten Covid-19-Patienten haben bislang leider nur zwischen 20 und 50 Prozent überlebt. Wenn das so ist, müssen wir fragen: Liegt das an der Schwere und dem Verlauf der Erkrankung an sich oder vielleicht doch an der bevorzugten Behandlungsmethode? Als wir die ersten Studien und Berichte aus China und Italien lasen, fragten wir uns sofort, warum dort so häufig intubiert wurde. Das widersprach unseren klinischen Erfahrungen mit viralen Lungenentzündungen.

Intensivmediziner halten dem entgegen, dass die Virusbelastung für Ärzte und das Pflegepersonal bei intubierten Covid-19-Patienten geringer sei.Das ist unethisch. Wir können doch das Wohl des Patienten nicht dem Wohl des Personals unterordnen. Inhaltlich ist es auch unsinnig. Erfahrene Pneumologen und Intensivpfleger können die Aerosol-Belastung gering halten.

Thomas Voshaar: Der Chefarzt aus Moers ist Gründer der Arbeitsgruppe Aerosolmedizin der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie.
Thomas Voshaar: Der Chefarzt aus Moers ist Gründer der Arbeitsgruppe Aerosolmedizin der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie. privat

Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Lungenfachklinik mit den ersten Covid-19-Patienten gemacht?Wir haben Anfang April 29 Patienten behandelt und davon 19 schon entlassen, mittlere Liegezeit sieben Tage. In der Lungenklinik hier in Moers im Bethanien-Krankenhaus machen wir bei allen Patienten schon bei Aufnahme eine Computertomographie (CT) der Lunge. Alle hatten die charakteristischen beidseitigen Lungenentzündungen. Nur einen Patienten mussten wir intubieren, er kam mit schweren Grunderkrankungen. Wir haben zum Glück noch keinen Todesfall. Wir erheben umfangreiche Laborwerte und dokumentieren die Lungenentzündungen ausführlich mit Computertomographien. Typisch sind ein starker Mangel an Lymphozyten, schlechte Sauerstoffwerte und ein erhöhter Wert des Enzyms Laktat-Dehydrogenase. Das CT ist bei diesen schweren Fällen das entscheidende diagnostische Mittel, weit zuverlässiger als der Corona-Test. Wir mussten feststellen, dass es viele falsch-negative Tests gibt. Vielen Covid-19-Patienten konnten wir mit der Sauerstoffgabe durch die Nase und der nichtinvasiven Beatmung mit Atemmaske gut helfen. Natürlich müssen Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung sowie Herz- und Kreislauffunktionen eng überwacht werden. Damit uns nicht vorgeworfen wird, dass unsere Patienten nur überlebt haben, weil sie schwach erkrankt gewesen seien, dokumentieren wir den Krankheitsverlauf.

Sollten sich nicht Pneumologen und Intensivmediziner auf ein einheitliches Behandlungsschema verständigen?Ja, unbedingt. Es fehlt zwischen Intensivmedizinern und Pneumologen ein Konsens darüber. Ich habe es den Intensivmedizinern angeboten. Im Übrigen haben auch die Chinesen, als die Zahl der neu Erkrankten rückläufig war, weniger intubiert.

Wie und seit wann haben Sie sich in Ihrer Klinik auf die Pandemie vorbereitet?Als wir im Januar die Berichte über China gelesen haben, war allen Pneumologen klar: Das Virus wird bald hier sein. Zum Glück hatten wir als Lehre aus der ersten Sars-Pandemie 2004 medizinisches Verbrauchsmaterial eingelagert. Ende Januar haben wir systematisch mit Vorbereitungen begonnen. Es wäre besser gewesen, wenn die Bundesregierung das zu diesem Zeitpunkt auch zügig getan hätte. Noch im Februar hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn öffentlich gesagt, man sei gut vorbereitet. Wir haben diese Aussage nicht verstanden. Was wir wussten, war jedoch, dass es beim rheinischen Karneval virologisch knallen würde. Es ist wissenschaftlich untersucht, dass die Grippewelle während des Karnevals aus dem Rheinland wenig später in andere Bundesländer schwappt. Der Karneval fördert die Verbreitung eines Virus ideal und kolossal. In diesem Jahr hätte man ihn, nach den Warnungen aus China, besser abgesagt.

Wie bewerten Sie die Vorbereitungen der Bundesregierung und der Landesregierung auf eine stark steigende Zahl von schwerkranken Covid-19-Patienten?Die Strategie, für schwer erkrankte Covid-19-Patienten jedes Krankenhaus der Grundversorgung leer zu räumen, halte ich für falsch. Besser wäre es gewesen, für die Covid-19-Patienten spezialisierte Häuser als Behandlungszentren einzurichten. Erst in einem zweiten Schritt, falls sich die Pandemie weiter ausbreiten würde, hätte man einen Plan B ausrollen sollen, nach dem weitere Krankenhäuser frei geräumt worden wären. Jetzt haben wir das Problem, dass sich viele Patienten mit anderen schwerwiegenden Krankheiten nicht mehr in die Notaufnahme trauen.

Was können Sie aus der Behandlung schwer erkrankter Covid-19-Patienten in China, Italien und auch Frankreich darüber hinaus lernen?Die meisten Menschen sind dort außerhalb der Krankenhäuser gestorben, in Altenheimen und zu Hause. Außerdem helfen Kollegen aus allen Fachbereichen aus – Gynäkologen, Neurologen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Die haben mit Lungenerkrankungen aber keine Erfahrung.

Rechnen Sie mit einem exponentiellen Anstieg schwer erkrankter Patienten?Wir werden über einige Wochen täglich zahlreiche schwer erkrankte Covid-19-Patienten aufnehmen müssen, aber mit einer Katastrophe rechne ich nicht. Allerdings will ich die Situation nicht verharmlosen. Diese Krankheit ist tückisch: Mir ist keine andere Lungenerkrankung bekannt, bei der Komplikationen und der zeitliche Verlauf so schwer kalkulierbar und variantenreich sind. Auch die CT-Bilder der Lungen fallen äußerst unterschiedlich aus. Eine systematische Einordnung des Krankheitsverlaufs fällt uns noch schwer.

Glauben Sie, dass es zu einer Triage ex ante kommen könnte?Wenn man genug Zeit, Personal und Intensivbetten hat, müssen wir alles tun, um Triagen zu vermeiden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir gut vorbereitet sind. Wir müssen auch in Alten- und Pflegeheime gehen, damit die Menschen dort die Gelegenheit bekommen, eine Patientenverfügung zu machen, damit wir wissen, wenn diese älteren Menschen zu uns kommen, wie stark wir intervenieren sollen. Das wäre eine Maßnahme, um Chaos zu vermeiden. Die Alten- und Pflegeheime sind die Orte, wo sich das Virus verheerend schnell ausbreiten kann, deshalb sollten wir dort viel testen und die Menschen besser schützen.

Die Fragen stellte Rüdiger Soldt.

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