Wenn ich allerdings sehe, wie unser Vizekanzler und unser Innenminister den reinrassigen Rassisten Matteo Salvini umarmen, der ethische Säuberungen in Städten will. Wenn ich sehe, wie sich der Kanzler an Viktor Orban anschmiegt, der ein paar Kilometer weiter östlich Flüchtlinge und ihre Anwälte kriminalisiert und Medien an die Kandare nimmt. Wenn ich höre, wie er zu Polen schweigt, wo die Justiz politisiiert wird – und vor allem auch, wie er gerade versucht, mit Markus Söder, den Sturz der letzten großen Europäerin Merkel zu betreiben, dann wird mir unwohl.

Was für ein Europa wollen wir eigentlich? Das offene und liberale Erasmus-Europa, in das ich geboren wurde? Das Europa der EMRK und der Genfer Konvention? Oder das autoritäre, faschistoide, das wir überwunden haben?

Dazu kommt, dass unsere Presse derzeit vor Sebastian Kurz auf dem Boden liegt, anstatt distanziert und kritisch zu berichten. Ja, man soll auf ein Kanzlerfest gehen (ich wäre auch hingegangen, hätte ich eine Einladung gehabt). Aber wie sie sich alle mit ihm ablichten lassen, das widerspricht dem Outsider-Ethos, den Journalisten haben sollten. Die wichtigsten Journalisten kuscheln sich an den Kanzler und seine Leute, anstatt ihn aus der Distanz zu beschreiben. Die Opposition ist überhaupt tot. Der letzte, der den Mund laut aufgemacht hat, Matthias Strolz, privatisiert sich.

Das vergessene 20. Jahrhundert hat uns eines gelehrt: die Decke der Zivilisation und des Rechtsstaates ist dünn, gerade auch in modernen Gesellschaften. Wir sehen das derzeit in den USA, wo Kinder von Eltern getrennt oder inhaftiert werden. Diese wohlinszenierte Facebook-Politik der Emotionen und Gefühle ist brandgefährlich. Sie weckt jene Minderheit, die nichts Gutes will. Wir müssen besser aufpassen.