Prof. Dr. Joachim Grzega: Der Corona-Diskurs. Die Berichterstattung der Leitmedien zu den Anti-Corona-Maßnahmen ist regierungstreu und unverantwortlich.

Aus dieser Quelle zur weiteren Verbreitung entnommen: https://www.rubikon.news/artikel/der-corona-diskurs?fbclid=IwAR08hm1hwLoe0gWMT9ot5nrp4aXYuSQotp5Grez3VRxq8R2h7A3k3bpnoco

Der Corona-Diskurs

Der Corona-Diskurs

Die Berichterstattung der Leitmedien zu den Anti-Corona-Maßnahmen ist regierungstreu und unverantwortlich.

Bei der Corona-Thematik wird der Begriff „frei” plötzlich in einer Weise besetzt, wie sie in den letzten Jahren unüblich geworden ist. Normalerweise war der bedeutungsleer gewordene Begriff einfach zu einem Sprachbaustein geworden, um Dinge positiv erscheinen zu lassen, wie ich in einem früheren Beitrag für Rubikon schrieb. Derzeit sind „freie” Dinge etwas, das geopfert werden muss, und zwar für etwas, was dann „Sicherheit”, „Schutz” oder „Solidarität” genannt wird.

Positiv vermerkt wird zur Corona-Thematik, dass sich Politiker hier — im Gegensatz etwa zu Klimaschutz-Fragen — von wissenschaftlicher Expertise leiten ließen. Es stellt sich allerdings dennoch die Frage, wie wissenschaftliche Beobachtungen verpackt werden. Insbesondere spielt auch hier der politische Journalismus eine Rolle.

Im Folgenden sind einige sprachwissenschaftliche Beobachtungen zu weitverbreiteten Medien in den letzten zwei Wochen zusammengetragen. Insbesondere soll darauf eingegangen werden, wie mit wissenschaftlichen Beobachtungen und Einschätzungen umgegangen wird, die nicht die derzeitigen politischen Entscheidungen unterstützen.

1. Beobachtung: Außerhalb Deutschlands wurde die Corona-Krise teilweise mit Krieg verglichen.

Schlagzeilenbeispiele, in denen die Corona-Krise mit Kriegsvergleichen versehen wird, waren zu finden:

  • im französischen Le Figaro vom 17. März 2020: „Macron déclare la ‘guerre’ au coronavirus”, „Macron erklärt dem Coronavirus den ‚Krieg’”;
  • im französischen Le Monde vom 21. März: „Macron dans la guerre du coronavirus”, „Macron im Krieg des Coronavirus”;
  • im italienischen Corriere della sera vom 17. März: „Siamo in guerra”, „Wir sind im Krieg”;
  • im britischen The Guardian vom 23. März: „War Leader; Boris Johnson’s initial response to the coronavirus crisis has been hesitant”, „Kriegsführer; Boris Johnsons anfängliche Antwort auf die Coronavirus-Krise war zögerlich’”.

Bisweilen gibt es in den Überschriften auch vom Kriegsbild abgeleitete Bilder, zum Beispiel in The Guardian vom 22. März: „NHS staff feel like ‚cannon fodder’”, „Das Personal des (staatlichen Gesundheitsdienstes) NHS fühlt sich wie ‚Kanonenfutter’”. Und auch vom 23. März: „NHS hospitals likened to war zones”, „NHS-Krankenhäuser mit Kriegszonen verglichen”.

Gerade bei Macron erinnert dies an Äußerungen des Ex-Präsidenten François Hollande zu den Terroranschlägen in Paris im November 2015, mit denen ein Ausnahmezustand und stark erweiterte Befugnisse für die Regierung begründet wurden, einhergehend mit einer Entmachtung des Parlaments.

Ist dies auch hier der Zweck?

2. Beobachtung: Außerhalb Deutschlands kamen teilweise auch abweichende/relativierende Analysten in Leitmedien voll zu Wort.

In der polnischen Gabeta Wyborcza stand am 21. März unter der Überschrift „To tylko koronavirus”, „Das ist nur Koronavirus” ein Bericht über einen Hausarzt, der weiterhin Patienten behandelt, während andere Hausärzte ihre Praxen geschlossen haben und ihm zufolge nicht einmal Krebs-Patienten mehr behandeln, sofern sie kein Corona haben.

In der niederländischen De Volkskrant titelten am 23.März zwei Beiträge „Virusangst is een perfecte dekmantel voor kwaadwillende regimes”, „Virusangst ist ein perfekter Deckmantel für böswillige Regime” und „Houd het hoofd koel en plaats ziekte en dood in perspectief”, „Behalte einen kühlen Kopf und rücke Krankheit und Tod ins rechte Licht”.

In den Leitmedien Frankreich, Italiens, Spaniens und Großbritanniens scheint dies in den letzten Tagen nicht mehr zu finden zu sein. Dagegen konnte noch am 10. März Le Monde titeln: „Coronavirus: et si l’on en faisait autant contre la grippe?”, „Coronavirus: und wenn man das Gleiche gegen die Grippe machte?”.

Schweden hat sich für einen wenig rigorosen Weg entschieden, sodass dort der „Lockdown” die regierungsabweichende Position darstellt. Dafür wird aber auch Raum gegeben. So in einem Beitrag von Dagens Nyheter am 24. März mit einem demokratisch fordernden, aber nüchtern gehaltenen Titel „Folkhälsomyndigheten måste redovisa data och modeller”, „Die Volksgesundheitsbehörde muss über Daten und Modelle Rechenschaft ablegen”.

3. Beobachtung: Abweichende und relativierende Analysten wurden in Deutschland weitgehend verschwiegen oder diskreditiert.

Ich nehme zur Illustration meiner Beobachtungen sechs Artikel, die ich zur besseren Lesbarkeit wie folgt abkürze:

In führenden deutschen Medien findet man im Zeitraum vom 18. bis zum 24. März 2020 wenige Fachleute mit grundsätzlichen anderen Beobachtungen und Bewertungen.

Die Zeit berichtet am 24. März 2020 von Schwedens abweichender Vorgehensweise.

Mit der Virologin Karin Mölling und den Immunologen Stefan Hockertz wurden zwei Interviews von den Regionalsendern Radio Eins und Radio RS2 veröffentlicht (1).

Frank Ulrich Montgomery kann als Präsident des Weltärzteverbandes nicht übersehen werden. Seiner zu den Regierungsentscheidungen gegenteiligen Meinung wird aber nur ein kleiner unkommentierter Raum gegeben. Dieser kleine Raum wird ihm etwa gegeben in einem Artikel in der Welt-1803, der den Titel trägt „Lockdown in Deutschland – Was spricht dafür, was dagegen?”.

Hier wird sein Argument genannt, dass man in Italien mit dem Lockdown einen gegenteiligen Effekt beobachtet hätte und das Virus sich weiter verbreitet hätte. EU-Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley wird damit zitiert, dass man Ausgangssperren machen müsse, wenn einige sich unverantwortlich verhalten. Warum das Verhalten einiger zu einem „Einsperren” aller führen muss, wird nicht geklärt und auch nicht gefragt.

Dann folgen Bemerkungen eines CDU-Politikers, des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche und der Vorsitzenden des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen — alle drei gar nicht zur Fragestellung, also ohne Argument für oder gegen den Lockdown, mit anderen Worten: Themaverfehlung. Dass die wirtschaftlichen Folgen schwer wiegen, wird anerkannt. Einige stellen auch schon mal eine Frage zum Zustand der demokratischen Gesellschaftsordnung.

Gesundheitsfolgen außerhalb von Corona hingegen werden ausgeblendet. Schon für die aktuelle Situation wird nicht überlegt, wie viele Corona-Patienten in den Spitälern an Krankenhaus-Keimen sterben. Auf dieses Krankenhaus-Problem hat ja auch das Robert Koch-Institut früher schon hingewiesen, was in Leitmedien wie der Tagesschau und der SZ auch berichtet wurde (2).

Studien aus den Jahren 2010 und 2015 zeigen, dass soziale Isolation zu mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt. Der Verlust von Erwerbsarbeit erhöht gemäß Studien die Selbstmordrate um 20 bis 30 Prozent. Kann sich durch Ausgangssperren Vitamin-D-Mangel ergeben? Gemäß Studien kann Vitamin-D-Mangel tödlich sein. Nicht einmal die Medien, die über einige dieser Ergebnisse berichtet haben, haben diesen Aspekt bislang merklich aufgegriffen.

Wolfgang Wodarg, Facharzt für Lungenkrankheit und Fachmann in Epidemiologie und Gesundheitsamtsorganisation, sowie Sucharit Bhakdi, Facharzt für Mikrobiologie, werden teilweise regelrecht diskreditiert.

Wenn nun die Strategien der Diskreditierung beschrieben werden, sollen damit weder die zitierten Medien noch die dahinter stehenden Beitragsautoren generell verurteilt werden.

Es handelt sich nicht um eine quantitative Auswertung, sondern eine qualitative. Es geht um Beschreibungen einzelner Beiträge, in denen aber doch sich wiederholende sprachliche Phänomene auftauchen. Wie funktioniert die Diskreditierung und Desinformation?

Ich nenne sieben Strategien, wobei Strategien 1 und 2 für jeden sehr leicht zu erkennen sind, Strategien 3 bis 6 vor allem für den aufmerksamen Leser, Strategie 7 hingegen nur für den Leser, der sich auch die Originalquellen anschaut.

Strategie 1: Die betroffenen Personen werden in abschätziger Weise vorgestellt.

Der Tagesspiegel schreibt über Wodarg in der Unterüberschrift: „Ein ehemaliger SPD-Abgeordneter und Arzt” und weiter „Ein Lungenfacharzt namens Wolfgang Wodarg”. Die Welt-1903 stellt gegenüber: „Was Virologe Drosten den wirren Corona-Aussagen eines Lungenarztes entgegnet” — Wodargs Name wird zunächst nicht erwähnt; im Eingangsabschnitt ist dann von „Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten” und dem „ehemaligen SPD-Politiker Wolfgang Wodarg” die Rede.

Weder im Tagesspiegel noch der Welt wird erwähnt, dass Wodarg an der jetzt so oft zitierten Johns Hopkins-Universität Epidemiologie studiert hat. Die Welt-1903 stellt seinen Namen in die Gruppe „der Populisten, der Rauner und Abwinker”.

Der ZDF-Online-Beitrag bezeichnet Sucharit Bhakdi als „Biologieprofessor” und „Biologen”. Das weckt Gedanken an das Schulfach Biologie. Tatsächlich ist der Mediziner Bhakdi spezialisierter Mikrobiologe, wie Robert Koch. Die SZ bezeichnet den Stanford-Professor John Ioannidis als „streitlustigen Epidemiologen”.

Strategie 2: Es werden Wörter um das Begriffsfeld „Lügen” verwendet.

Die Bildunterschrift im ZDF-Online-Beitrag über Bhakdi lautet: „Leugnet die Gefahr” und „spielt Corona-Gefahr herunter” sowie „behauptet (…), das neue Coronavirus sei keine Bedrohung”.

Man schreibt nicht etwa „widersprechen”, „bezweifeln” oder „anders einschätzen” oder einfach nur, wie man das bei den Meldungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) tut, Wörter wie „gemäß”/„laut”.

Die Welt-1903 bezeichnet Wodargs Aussagen gleich im ersten Absatz des Hauptteils als „steile Thesen”.

Strategie 3: Argumente werden nicht konkret genannt, sondern nur angedeutet und bewertet.

Der Tagesspiegel schreibt über Wodarg: „Er argumentiert, um das Virus werde Panikmache betrieben. Doch dabei relativiert er wissenschaftliche Erkenntnisse und vermischt Fakten mit Mutmaßungen”. Wie konkret, das wird nicht beschrieben.

Auch der ZDF-Online-Beitrag über Bhakdi schreibt: „Den Faktor Luftverschmutzung als alleinigen Auslöser der Krise zu präsentieren (…) ist unwissenschaftlich”. Selbst wenn es stimmen sollte, dass Bhakdi dies tut — was, wie unten noch einmal genannt wird, nicht der Fall ist —, warum sollte dies per se unwissenschaftlich sein? Normalerweise macht man dies an der Methodik fest, was der Autor des Beitrags jedoch nicht tut.

Das funktioniert auch bei der anderen Seite: Von geschätzten Personen werden Wertungen angeführt, jedoch keine Argumente. Drosten wird so zitiert, dass er die Lage für die Zukunft anders einschätzt als Wodarg. Seine Argumente werden nicht genannt. Für die Leserschaft wäre es günstiger, wenn die Argumente beider Seiten aufgedeckt statt verdeckt würden.

Ähnlich unbefriedigend ist etwa die Anmerkung im Tagesspiegel, dass SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach meinte, Wodargs Äußerungen seien „blanker Unsinn” und „Fake News”. Eine Begründung wird nicht geliefert.

Die SZ zitiert den Virologen Georg Bornkamm als Gegenposition zu Wodarg: dass das neue Coronavirus den bisherigen Coronaviren keineswegs ähnlich sei, sondern sein Verhältnis zu diesem sei wie das von Hai zu Stichling, die auch beide Fische seien. Man fragt sich: Also sind sie doch ähnlich?

Kurz darauf zitiert die SZ Bornkamm mit den Worten: „Die These, die Pandemie gebe es nur, weil getestet werde, ist absolut nicht haltbar.“ Warum, wird nicht geschrieben.

Strategie 4: In der angeblichen Widerrede werden nur Blickwinkel oder sogar Bestätigungen gebracht.

So heißt es im ZDF-Online-Beitrag gegen Bhakdi, dass er behaupte, weniger als 1 Prozent der Bevölkerung sei erkrankt, 99 Prozent hätten keine oder nur leichte Symptome. Als Gegenbeweis referiert das ZDF auf das Robert Koch-Institut und darauf, dass nach Studien zwischen 51 bis 81 Prozent der Infizierten auch erkrankten und von diesen Erkrankten sogar 20 Prozent schwer. Das zeigt zunächst einmal nur, dass auch leichte Erkrankungen in diese Zahl eingerechnet sind, während Bhakdi „Menschen mit leichten Symptomen” zu den Nicht-Erkrankten zählt.

Es liegt also eine andere Definition zugrunde, sodass die Zahlen gar nicht miteinander verglichen werden können. Überhaupt wird recht wenig in den Artikeln definiert. Wer zählt wen als Erkrankten? Wer zählt wen als Corona-Opfer? Wer versteht wann was unter Pandemie? Die WHO selbst hat die Definition im Laufe der Zeit geändert. Wer verstand wann was wofür als Empfehlung? Das Robert Koch-Institut weist in Erklärungen darauf hin, dass jedes Jahr die Empfehlung zur sozialen Distanz gegen Grippe herausgegeben wird. Und so weiter.

Der Tagesspiegel schreibt, Wodarg übersehe Schätzungen. Genau das Basieren auf Schätzungen statt realer, empirischer Zahlen ist aber das, was Wodarg anprangert. Und derzeit kennt man weder die Zahl der Corona-Infizierten — weil nicht alle getestet werden —, noch die Zahl der Corona-Erkrankten — weil nicht alle mit Symptomen gestestet werden —, noch die Zahl der Corona-Todesopfer — weil nicht differenziert wird zwischen An-Corona-Gestorbenen und Mit-Corona-Gestorbenen. Alternativ müsste beispielsweise so etwas wie eine repräsentative Untersuchung stattfinden.

Der Tagesspiegel schreibt weiter, ebenso habe Wodarg behauptet, der von Drosten entwickelte Schnelltest sei nicht sicher. Als Antwort zitiert man Wissenschaftler, dass „der Test das neuartige Virus ausreichend von anderen unterscheiden könne”. und Drosten selbst, der sagt, die „technische Validierung ist auf so hohem Niveau”. Das bestätigt prinzipiell Wodargs Äußerung und zeigt nur eine andere Interpretation der Aussagekraft des Testes. Eigentlich wären nur die konkreten Leistungen des Tests aussagekräftig genug.

Ähnlich ist jedoch der Duktus im Beitrag der Welt-1903: Drosten, der gemäß Eingangsabschnitt die Aussagen Wodargs angeblich „zerlegt” und so weiter unten mit ihnen „(auf)räumt”, bestätigt die Aussagen Wodargs. Teilweise ordnet er die Beobachtung Wodargs anders ein, was jedoch nicht gegen Wodargs Beobachtung an sich spricht.

Teilweise schätzt Drosten die zukünftige Lage ein. Auf welcher Basis er zu dieser Einschätzung kommt, wird nicht geschrieben. Dies wäre hilfreich gewesen. Auch der Virologe Georg Bornkamm, den die SZ zur Widerlegung von Wodargs Aussagen zu Wort kommen lässt, sagt: „Das Virus ist womöglich nicht so gefährlich, das mag stimmen.” Danach wird er noch zitiert, dass das Problem in der fehlenden Immunität liege. Das widerspricht aber Wodarg nicht.

Die SZ führt schließlich noch als vermeintlichen Gegner von Wodarg und dem Stanford-Professor John Ioannidis Ulrich Dirnagl vom Berlin Institute of Health an. Letztlich äußert sich dieser aber wissenschaftlich vorsichtig: Er „hält” die These des Corona-Interesses wegen der Impfung für widerlegt — er lässt sich nicht damit zitieren, dass sie es „ist”.

Der ARD-Faktenchecker will Wodargs Aussage kontern, dass „Wissenschaftler (…) Geld brauchen für ihre Institute”. Virologe Drosten „widerspricht vehement”, heißt es. Sein Institut verdiene kein Geld, das Ganze sei Teil eines EU-Forschungsprojektes. Mit anderen Worten: zwar ist die Aktivität freilich nicht gewinnorientiert, aber es fließt eben Geld zur Sicherung von Stellen, wobei dies hier beschreibend, nicht wertend gemeint ist.

Strategie 5: Widersprüchliche oder seltsame Aussagen der Mainstream-Meinung bleiben unbeleuchtet.

Das Robert-Koch-Institut wird im ZDF-Online-Beitrag zitiert, dass laut „Studien zwischen 51 bis 81 Prozent der Infizierten auch erkrankten”. Wie es zu dieser seltsam großen Schwankung kommt, die man ja vielleicht auch erklären kann, bleibt völlig unhinterfragt.

Die SZ zitiert den Epidemiologen Marc Lipsitch damit, dass die Pandemie ohne Kontrollmaßnahmen entsetzliche Ausmaße annehmen werde, wie man an den Särgen von Covid-19-Opfern in den Kirchen Italiens sehen könne. Allerdings gab es auch in Italien Kontrollmaßnahmen. Dies hinterfragt der Beitrag jedoch nicht.

Im ARD-Beitrag wird viel in die Zukunft fantasiert, wie sie sein „dürfte”, obwohl gleichzeitig zugegeben wird, dass tatsächliche Erkrankten- oder Infizierten-Zahlen niemand kennt und dass es noch keinen auffälligen Anstieg in der Zahl der gestorbenen Personen gebe.

Strategie 6: Es werden Argumente pro Regierungslinie gebracht, die – wörtlich – nichtssagend sind.

Auf manchen lächerlich oder verzweifelt wirkt die Aussage in der Welt-1903, dass man sich nicht, wie Wodarg meint, gegen unsinnigen Freiheitsentzug wehren soll, da man sich laut Welt damit unter Umständen strafbar machen könne.

Ebenso eigenartig wirkt die Zusammenfassung, die die Journalistin für die SZ trifft. Nachdem sich offenbar alle zitierten Wissenschaftler darin einig sind, dass man noch sehr wenig über das Coronavirus weiß, rechtfertigt sie die perspektivisch eingeengten Regierungsmaßnahmen mit der Aussage „Die Politik muss heute Entscheidungen treffen — nicht nach Monaten intensiver, evidenzbasierter Forschung”.

Wäre das Nicht-Wissen nicht eigentlich ein Anlass dafür, umso mehr Sichtweisen zu Wort kommen zu lassen?

Strategie 7: Aussagen der betroffenen Person werden falsch oder gar nicht wiedergegeben.

Hierzu muss man die Originalquellen anschauen. Für Wolfgang Wodarg geht man am Besten auf seine Webseite. Sucharit Bhakdi hat einen YouTube-Kanal.

Wodarg wird vom Tagesspiegel für vier Thesen angegriffen. Erstens dafür, dass er behaupte, dass das Virus nicht neu sei. Es sei jedoch neu, wenngleich nur eine Mutation. Nichts anderes behauptet Wodarg.

Der Tagesspiegel schreibt zweitens: „Es ist zwar richtig, dass die Anzahl derjenigen, die von Grippe oder Atemwegserkrankungen betroffen sind, jedes Jahr schwankt. Das hat allerdings nichts mit der Ausbreitung des Coronavirus zu tun.” Das behauptet Wodarg auch nicht.

Im ZDF-Beitrag über Bhakdi wird fälschlicherweise behauptet, dass dieser die Opferzahl in Italien „allein auf äußere Umwelteinflüsse” zurückführe, weiter unten wird sogar behauptet, dass er „Luftverschmutzung als alleinigen Auslöser der Krise” präsentiere. Bhakdi präsentiert dies jedoch als einen möglichen, aber naheliegenden Faktor.

Die Welt-1903 schreibt als Gegenreaktion auf Wodarg: „Die Menschen in den Krankenhäusern von Bergamo und Brescia sterben nicht an Panik oder offenen Fragen, sondern in sehr vielen Fällen an Covid-19.”.Zum einen hat Wodarg auch nicht behauptet, dass Panik oder Fragen die Menschen töten, sondern, dass sie Krankenhäuser enorm belasten. Zum anderen wird der Nachweis nicht erbracht, dass die Toten tatsächlich an (!) statt „nur” mit (!) Corona starben.

Eine Variante ist, dass Zitate auf irreführende Weise eingebracht werden. So heißt es beim Tagesspiegel in der Kritik an Wodarg: „Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius, SPD, hat angesichts von Falschmeldungen zur Coronapandemie gefordert, mit Strafen dagegen vorzugehen”. Tatsächlich hat sich dieser aber gar nicht auf Wodarg oder andere Fachleute, sondern auf Meldungen über die Versorgungslage bezogen: „Fake News zur Versorgungslage in Zeiten der Coronakrise sind brandgefährlich”, wird er in dem Tagesschau-Beitrag „Mehr Tempo, mehr Gesetze, mehr Strafe” vom 17. März zitiert.

Des Weiteren wird vom Tagesspiegel die Pressestelle der Landesärztekammer zitiert: „Wir werden ihn [Wodarg] wegen seiner öffentlich getätigten Aussagen kontaktieren und anhören”, als ob eine Anhörung bereits einer Verurteilung gleich käme.

Der Trick mit den irreführenden Zitaten funktioniert auch in die andere Richtung. So schreibt ZDF-Online über Bhakdi, dass dieser im schlimmsten Fall von einer Million Corona-Inifizierten und folglich 30 Corona-Todesopfern pro Tag ausgehe. Diese Zahlen seien mit Blick auf Italien und Spanien zu niedrig angesetzt, meint der Autor. Allerdings kennt keiner die tatsächliche Zahl der Infizierten in Italien und Spanien. Dadurch taugt dies nicht als Gegenargument. Ebenso wenig wird klar gesagt, welche Toten tatsächlich an Corona oder an einer anderen Krankheit gestorben sind, aber auch Corona hatten. Auch aus diesem Grunde kann die Zahl nicht als Gegenargument taugen. Selbst das Robert Koch-Institut zählt beide Gruppen zusammen und sagt dies auch offen.

Eine Variante davon ist, dass man etwas Falsches suggeriert. Der Tagesspiegel schreibt: „Es ist richtig, dass es Coronaviren schon länger gibt. So wie alle Viren verändern sie sich ständig. Nicht alle Veränderungen sind gefährlich. Bestimmte Veränderungen von Viren können gefährlich sein”. Was Wodarg dazu gesagt hat, wird nicht erwähnt. Man denkt natürlich, dass er etwas Abweichendes sagt. Tatsächlich sagt er nichts Gegenteiliges. In allen folgenden Sätzen scheint es ebenso wenig Gegenteiliges zu dem zu geben, was Wodarg sagt.

Auffallenderweise gehen in ihren Kritiken an Wodarg weder die Welt-1903 noch der Tagesspiegel noch die SZ darauf ein, dass Wodarg Zahlen der auch von der WHO unterstützten Institution Euromomo vorlegt, nach denen keine auffallenden Sterblichkeitsraten in den EU-Ländern vorliegen.

Noch einmal abschließend erklärt sei Folgendes: Ich kann die jetzige und zukünftige Lage aus medizinischer Sicht nicht einschätzen. Ich beurteile auch nicht die genannten Personen, die ja nur durch den journalistischen Filter zu Wort kommen. Wohl aber sehe ich als Sprachwissenschaftler, dass es Filter und Diskursmuster von Journalisten wie Lobbyisten gibt, die für die Diskussion wenig hilfreich sind, denn sie verdecken den Blick auf Argumente.

Sie zu beseitigen würde gut tun — auch jenen in der Politik, die tatsächlich um das Gemeinwohl besorgt sind, die effektivsten Entscheidungen zu treffen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.radioeins.de/programm/sendungen/die_profis/archivierte_sendungen/beitraege/corona-virus-kein-killervirus.htmlhttps://www.rs2.de/home/interview-mit-immunologe-und-toxikologe-prof-dr-stefan-hockertz/
(2) https://www.tagesschau.de/inland/infektionen-101.htmlhttps://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-berlin-bis-zu-20-000-todesfaelle-durch-krankenhausinfektionen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-191115-99-742734

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